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Verfolgt Deutschland die richtige Corona-Impfstrategie?

Es war ein Hoffnungsschimmer nach mehreren Monaten der Unsicherheit, als die Europäische Arzneimittel-Agentur im Dezember letzten Jahres grünes Licht für den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer gab. Mit den ersten Impfungen gegen Covid-19 wuchs die Hoffnung, dass die Pandemie bald enden würde. Jetzt, zwei Monate später, ist klar: Wir werden lange mit dem Coronavirus und den damit verbundenen Unsicherheiten leben müssen.

„Die Impfung bringt Licht ans Ende des Tunnels“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Mitte Januar in seiner Regierungserklärung im Bundestag. Die Frage ist nur: Wie lang ist der Tunnel? Lieferengpässe, Logistikprobleme und Terminschwierigkeiten haben die deutsche Impfstrategie erschüttert. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Ministerpräsidenten der Bundesländer, mehrere Bundesminister, Vertreter der Impfstoffhersteller und der EU-Kommission wollen daher auf dem Impfgipfel am Montag diskutieren, wie die Koronaimpfungen verbessert werden können.

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Biontech / Pfizer und Astrazeneca wollen doch mehr Impfstoff liefern

Die Erwartungen an den Impfgipfel sind hoch. „Ich hoffe, dass die zu erwartenden Impfstofflieferungen etwas klarer werden“, sagte Prof. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Spahn ist nach EU-Zulassung für russische Impfstoffe offen

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist offen für den Einsatz von Corona-Impfstoffen aus Russland und China im Falle einer erfolgreichen EU-Zulassung. © dpa

Nicht nur Biontech und Pfizer hatten vorübergehende Versorgungsengpässe angekündigt, sondern auch Moderna und Astrazeneca, deren Impfstoffe in diesem Jahr in Europa zugelassen wurden. Wenig später jedoch überarbeiteten die Impfstoffhersteller ihre Aussagen teilweise. Biontech und Pfizer sowie Astrazeneca wollen nun mehr Impfstoffdosen in die EU liefern als bisher versprochen.

Bürger erhalten keine Impftermine

In jedem Fall wären die Kapazitäten dafür verfügbar, sagt Prof. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. „Es gibt noch viel Raum für Verbesserungen“, sagte er dem RND. „Im Moment haben wir noch viel freie Kapazität, sowohl in den mobilen Impfungsteams als auch in den Impfzentren.“

Der Immunologe stellt außerdem fest, dass einige Bürger, die gegen Covid-19 geimpft werden möchten, frustriert sind, weil sie keine Impftermine erhalten. „Ich hoffe vom Impfgipfel, dass Sie verlässliche Zahlen haben, damit die Länder, die dann die Impfungen organisieren müssen, schnell planen und Termine vereinbaren können.“

Stiko-Chef: „Ich sehe kein Problem mit der Impfstrategie“

Bundesgesundheitsminister Spahn gab am vergangenen Freitag auf der Bundespressekonferenz in Berlin bekannt, dass nur 2,2 Prozent der Bevölkerung eine Erstimpfung erhalten haben. Expertenmeinungen zufolge müssten jedoch 60 bis 80 Prozent der Bürger geimpft werden, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Auch im Hinblick auf andere Länder wie Israel, Großbritannien oder die USA ist klar, dass Deutschland bei den Koronaimpfungen hinterherhinkt.

Ist die deutsche Impfstrategie also noch akzeptabel? „Ich sehe kein Problem mit der Impfstrategie, aber ein nicht unerwartetes Problem mit der Impfstoffproduktion mit einer enormen globalen Nachfrage“, sagt Stiko-Chef Mertens. Eine „weltweite gerechte Verteilung“ der Corona-Impfstoffe kann sicherlich nicht mehr gesagt werden.

Prof. Christian Bogdan stimmt ebenfalls zu: „Das derzeitige Impfproblem beruht nicht auf einer falschen Impfstrategie, sondern auf der Tatsache, dass die derzeit diskutierten Hersteller von Covid-19-Impfstoffen nicht in der Lage sind, die in naher Zukunft bestellten Impfstoffmengen herzustellen zu liefern “, sagte der Direktor des Instituts für klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Universitätsklinikum Erlangen und auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) an die RND.„ Die von der Bundesregierung bestellten Gesamtdosen an Impfstoffen würden ausreichen, um jeden Einwohner Deutschlands drei- bis viermal zu impfen. „

Die Herstellung von Impfstoffen stellt alle Hersteller vor große Herausforderungen. „Wir versuchen, neue Kooperationspartner zu gewinnen, die für uns produzieren“, sagte Biontech-Chef Ugur Sahin beispielsweise gegenüber „Spiegel“. „Aber es ist nicht so, als würden spezialisierte Fabriken auf der ganzen Welt ungenutzt herumstehen und über Nacht Impfstoffe in der erforderlichen Qualität herstellen können.“ Im Februar plant das Mainzer Unternehmen, seinen mRNA-Impfstoff auch in Marburg herzustellen. Dort sollen im ersten Halbjahr 2021 rund 250 Millionen Impfstoffdosen hergestellt werden.

Stiko empfiehlt den Astrazeneca-Impfstoff nur für Personen unter 65 Jahren

Der Grund, warum Deutschland bei der Anzahl der Koronaimpfungen im Vergleich zu anderen Ländern hinterherhinkt, ist zum einen, dass die Impfstoffe laut Watzl in der EU später zugelassen wurden als beispielsweise in Großbritannien. Zum anderen könnte dies auch an der europäischen Einkaufsstrategie liegen. „Wir haben bereits deutlich mehr bestellt, als wir für die Bevölkerung der EU benötigen“, betont der Immunologe.

Trotzdem prognostiziert Bundesgesundheitsminister Spahn „einige schwierigere Wochen des Impfstoffmangels“. Im ersten Quartal erwartet er von Biontech / Pfizer und Moderna rund zwölf Millionen Impfstoffdosen. Mit der Zulassung des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca stehen weitere drei Millionen Dosen zur Verfügung. Der Vektorimpfstoff des britisch-schwedischen Pharmaunternehmens empfiehlt den Stiko nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren. Die EMA hatte den Impfstoff jedoch für alle über 18 Jahre zugelassen.

Muss die Impfsequenz geändert werden?

Die eingeschränkte Empfehlung des Stiko löste sofort eine Debatte über die Änderung der Impfsequenz in Deutschland aus. „Man muss die Impfpriorität und die Impfhierarchie überdenken“, sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder im Morgenmagazin von ARD und ZDF.

Stiko-Chef Mertens spricht sich unterdessen gegen eine Änderung der Impfsequenz aus. „Ich würde es als schwerwiegenden Fehler betrachten, wenn man die Priorisierung hektisch ändern würde, was ohne wirklich gute Begründung leicht zu rechtfertigen ist“, sagte er dem RND. „Es ist immer noch eine Priorität, Menschen zu schützen, bei denen ein hohes Risiko für schwere Krankheiten, Krankenhausaufenthalte, Intensivpflegebedürfnisse und Tod besteht. Dies wird nach dem quantitativen Risiko eingestuft.“

Auch der Immunologe Carsten Watzl sieht derzeit keine Notwendigkeit für eine neue Impfsequenz. „Ich denke, die von Stiko festgelegte Reihenfolge ist sehr, sehr gut, weil wir in Deutschland das Impfziel gesetzt haben, so viele Menschenleben und so viele verlorene Menschenjahre wie möglich zu retten“, sagte er dem RND.

Diese beiden Ziele können mit der vorherigen Impfsequenz erreicht werden. „Es gibt genügend Menschen zwischen 18 und 64 Jahren – einschließlich der in Pflege befindlichen -, die mit dem Astrazeneca-Impfstoff geimpft werden können. Sie müssen also keine größeren Anpassungen oder Änderungen an der Impfsequenz vornehmen “, sagt Watzl.

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