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Die Wiedervereinigung Deutschlands: Erfolgsgeschichte oder zunichtegemachtes Gutes? – Zwei Leipziger erzählen.

Henry Lewkowitz, 33 Jahre, aus Leipzig

„Ich bin überrascht, wie sehr die ostdeutsche Herkunft wieder an Aktualität und politischer Bedeutung gewonnen hat“, sagt Henry Lewkowitz, geboren 1989 in Colditz. „Zu meinen Jugendzeiten und auch während des Studiums hat das überhaupt keine Rolle gespielt.“ In den vergangenen Jahren spüre er, wie die Identitätsfrage in Ost- und Westdeutschland wieder präsenter geworden sei.

Lewkowitz’ Mutter kommt aus Brandenburg, sein Vater aus Sachsen. Schon in Colditz gründete er einen Verein, der sich gegen Rechtsextremismus einsetzt. Nach dem Abitur zog er nach Leipzig, studierte Philosophie und Politikwissenschaften. Heute ist er Geschäftsführer des Erich-Zeigner-Vereins in Leipzig und beschäftigt sich dort mit politischer Bildungsarbeit in Deutschland mit einem Schwerpunkt auf Sachsen.

Während der Arbeit, sagt Lewkowitz, erlebe er immer wieder Situationen, in denen Ost und West explizit thematisiert würden. Zum Beispiel kürzlich bei einer Fachtagung für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Eine Veranstaltung in einer westdeutschen Stadt. „Nach meinem Vortrag kamen Menschen zu mir und meinten, dass Ostdeutsche aufgrund ihrer DDR-Prägung nicht in der Lage seien, das Konzept einer Demokratie zu begreifen“, sagt Lewkowitz. „Einige Westdeutsche scheinen nicht zu verstehen, dass es 1989 nicht nur ein paar Mutige waren, sondern die breite Masse, die für die Demokratie gekämpft hat.“

Lewkowitz wünscht sich aber, dass beide Seiten sich von ihren Vorurteilen lösen. Schließlich würden auch Menschen aus dem Osten in Klischees denken. Zum Beispiel, dass viele westdeutsche Studierende nach Leipzig kommen und den Wohnungsmarkt belasten. „Andererseits sollte niemand aufgrund eines sächsischen Dialekts als ungebildet wahrgenommen werden – das passiert nach wie vor zu häufig“, sagt er.

Insgesamt sei ihm die Debatte um Ost- und Westdeutschland zu platt, mehr Differenzierung müsse her. Und: Damit sich Ostdeutsche nicht mehr als Bürger zweiter Klasse fühlen, müssten sie endlich mehr in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen repräsentiert sein. „Im Osten gibt es nämlich kein Problem mit der intellektuellen Fähigkeit Demokratie zu begreifen – sondern mit der gesellschaftlichen Repräsentation.“

Jacqueline Wagner (33) kennt die DDR nur von Eltern und Großeltern

Die DDR ist für Jacqueline Wagner keine fremde Welt, obwohl sie erst nach der deutschen Wiedervereinigung geboren wurde. Das Sandmännchen gehörte zum Abendprogramm der 33-Jährigen. „Immer!“ Durch ihre Eltern und Großeltern hat die Friseurin viel über das Leben im Osten gehört. Als Ostdeutsche fühlt sie selbst sich aber nicht. „In meiner Altersklasse spielt das keine Rolle mehr“, findet sie. Zumal ihre Tante mit Familie in der Nähe von Koblenz lebt und gegenseitige Besuche Normalität sind. Ob jemand aus dem Osten oder Westen Deutschlands kommt, findet sie überhaupt nicht wichtig.

Wenn ihre Eltern und Großeltern von damals erzählen, beginnen die Sätze oft mit: „Früher zu Ostzeiten …“. Und dann geht es unterschiedlich weiter. Manchmal mit „… war nicht alles schlecht“ – wenn es um die Sicherheit des Arbeitsplatzes, der Kinderbetreuung oder der Wohnung geht. Manchmal mit „… wurden wir gar nicht gefragt, es wurde einfach gemacht“ – wenn es um Sachen wie das Impfen geht. Manchmal mit „… war nicht alles Larifari“ – wenn es darum geht, was Schulkindern heute abverlangt wird, oder eben auch nicht.

Jacqueline Wagner ist in Liebertwolkwitz aufgewachsen und wohnt jetzt in Markkleeberg. Sie weiß, was ihre Eltern und Großeltern damals nicht hatten: Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Konsumfreiheit. All das könnte die Mutter von zwei kleinen Kindern heute in vollen Zügen ausschöpfen, tut es aber nur zum Teil. Thema Reisen: „Ich schaue mich gern in Deutschland und den Nachbarländern um, aber ich muss nicht ans andere Ende der Welt fahren. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, da fühle ich mich schon von großen Städten erschlagen.“

Auch mit der Meinungsfreiheit sei es so eine Sache: „In der Corona-Zeit hat es sich wieder sehr geändert, dass man frei seine Meinung sagen kann. Auch in den sozialen Netzwerken ist der Druck groß, man wird gleich in eine Schublade gesteckt oder für seine Meinung fertiggemacht.“ Und was das Shopping betrifft, das ihr immer viel Spaß gemacht hat, findet sie inzwischen die Wegwerf-Mentalität zweifelhaft.

Wenn es Dinge aus der DDR gibt,

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