Leipzig erinnert an die Friedliche Revolution
Das Lichtfest Leipzig beendete am Abend des 9. Oktober 2022 die Feierlichkeiten in Erinnerung an die Friedliche Revolution. Zuvor hatte die Kirchgemeinde St. Nikolai zum traditionellen Friedensgebet in die Nikolaikirche eingeladen. Ebenfalls in der Nikolaikirche hielt die russische Menschenrechtsaktivistin und frisch gekürte Friedensnobelpreis-Trägerin Irina Scherbakowa die Rede zur Demokratie.
Unter der Überschrift „Preis der Freiheit“ lenkte das Programm am städtischen Gedenktag am 9. Oktober den Blick auf den historischen Umbruch und die fortdauernde Verantwortung, Freiheit und Demokratie zu leben und zu gestalten.
Lichtfestabend im Spannungsfeld des Weltgeschehens
Bei der Eröffnung des Lichtfestes auf dem Nikolaikirchhof nahm Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung Bezug auf das aktuelle Kriegsgeschehen in der Ukraine: „Wir sagen aus Leipzig heraus: Wir wollen uns nicht an diesen Krieg gewöhnen, an dieses Unrecht, das tagtäglich passiert. Wir sind an der Seite derer, die für die Menschen eintreten. Es geht um Menschlichkeit! Das ist die Botschaft: Kein Mensch ist wichtiger als der andere. Frieden ist die oberste Maxime. Frieden, der mit Freiheit zusammen gedacht werden muss. Lasst uns mit dem Licht in den Händen ein Stück Hoffnung hinaustragen. Die Hoffnung, dass Frieden möglich sein muss.“
Auch die anderen Redner des Abends reflektierten dieses Spannungsfeld: Carsten Schneider, Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland forderte, mit dem Licht ein Zeichen für Demokratie zu setzen.
„Eine Zeit lang schienen Menschenrechte, Freiheit und Demokratie eine Selbstverständlichkeit zu sein. Diese schreckliche moralische, wirtschaftliche und politische Katastrophe zeigt nun, wie wertvoll das alles ist – und dass es jeden betrifft“, so Irina Scherbakowa. „Wenn ich die Lichter sehe, denke ich daran, dass sie auch den Opfern gelten, die dieser blutige Krieg in der Ukraine gebracht hat.“
Sehr persönliche und berührende Worte fand auch Liubov Lysenko, Dozentin an der Kiewer Musikhochschule, die im März mit ihren Kindern nach Leipzig geflüchtet war. Sie sieht trotz aller Unterschiede Parallelen: Wie damals bei der Friedlichen Revolution, so gehe es auch beim blutigen Kampf der Ukraine um gemeinsame Werte: „Respekt vor der Menschenwürde, das Recht zu wählen, die Möglichkeit, die eigene Meinung frei zu äußern und frei zu leben“. Angesichts des Kerzenmeeres auf dem Nikolaikirchhof äußerte sie den Wunsch und die tiefe Hoffnung, dass das Licht die Finsternis besiegen möge.
Internationale Künstlerteams inszenieren partizipative Lichtprojekte
Die diesjährigen Lichtinstallationen fanden sehr positive Resonanz. Auf dem Burgplatz begeisterte ein begehbares Kaleidoskop mit seinem multimedialen, farbenfrohen Innenleben. Auf dem Richard-Wagner-Platz griffen vor allem junge Besucherinnen und Besucher zum Controller, um beim digitalen Graffitisprühen, dem Light Spray, mitzumachen. Die Großprojektion von Augenpaaren auf dem Opernhaus war buchstäblich der Blickfang auf dem Augustusplatz.
Die Künstler genossen den stimmungsvollen Abend und das Publikumsinteresse: „Ich freue mich, dass im Vorfeld viele ihr Augenpaar, ihren „Augen-Blick“ für „wir sehen uns frei“ gespendet haben. Das gab der Projektion einen sehr persönlichen, ja fast intimen Charakter“, freut sich Robert Sochacki (Breslau), der die Installation für den Augustusplatz konzipiert hatte. „So groß haben wir noch nie gesprayt!“ begeisterten sich Cart‘1 und Matthieu Tercieux aus Leipzigs Partnerstadt Lyon für ihren Aktionsraum auf dem Richard-Wagner-Platz. „Ausgangspunkt meiner Installation ist zwar die Friedliche Revolution, auf dem Burgplatz geht der Blick aber ganz bewusst nach vorne. Mir war es sehr wichtig, junge Leute an Bord zu holen. Die Ereignisse von 1989 dienen als positives Vorbild“, betont Video- und Projektionskünstlerin Betty Mü.
Marit Schulz, Leiterin Lichtfest Leipzig und Prokuristin der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH, bilanziert zufrieden: „An allen drei Lichtorten herrschte großes Besucherinteresse, die Gäste waren viel im Gespräch untereinander. Ganz besonders freue ich mich darüber, dass die erstmals angebotenen kostenlosen Rundgänge so gut angenommen wurden. Besucherinnen und Besucher erfuhren von zertifizierten Gästeführern sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen viel über die Hintergründe der Projekte, die Künstler und den Herbst 89. Eine gelungene Premiere!“
Zum Hintergrund: Friedliche Revolution 1989
Mit dem Lichtfest Leipzig, dem Friedensgebet und der „Rede zur Demokratie“ erinnert die Stadt Leipzig alljährlich am 9. Oktober an die Ereignisse der Friedlichen Revolution im Herbst 1989. Bereits seit 1982 hatten Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen regelmäßig zu Friedensgebeten in die Nikolaikirche eingeladen. Von hier gingen im September 1989 die Montagsdemonstrationen aus. Nach den Friedensgebeten in mehreren Kirchen versammelten sich am 9. Oktober in der Leipziger Innenstadt schließlich mehr als 70.000 Menschen, um gewaltfrei zu demonstrieren – der Durchbruch für die Friedliche Revolution und ein Schlüsselereignis der deutschen und europäischen Geschichte. Der 9. Oktober 1989 gilt als Voraussetzung für den Fall der Mauer am 9. November und die deutsche Wiedervereinigung.