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Wie sich der WDR mit einem Rassismusgespräch blamierte

Stellen wir uns kurz vor, dass WDR 2021 eine Talkshow im neuen Stil plant, die sich unter anderem auf Rassismus konzentriert.

Stellen wir uns vor, der Sender sichert das Fachwissen folgender Spezialisten: Showmaster Thomas Gottschalk, Schauspielerin Janine Kunze („Janine Krause“), Comedy-Spezialistin Micky Beisenherz („Jungle Camp“) und Ex-Teilnehmerin „Big Brother“ sowie Zlatko Buddy Jürgen Milski.

Drittens stellen wir uns vor, diese vier saßen jetzt mit Moderator Steffen Hallaschka zusammen und verwendeten rote oder grüne Pappkarten, um unter anderem über die folgende Frage abzustimmen: „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ – und alle vier stimmten dafür, dass das Gesetz weiterhin „Zigeunerschnitzel“ und „Mohrenkopf“ sagt.

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Fünf Weiße sprechen über Rassismus

Unvorstellbar? Nicht im WDR. Mit einer überraschend konsequenten Anhäufung trivialisierender, naiver und unerfahrener Einwände gegen die Frage, ob Minderheiten auch in Deutschland diskriminiert wurden, beschwor die kluge und schlagfertige WDR-Show „The Last Instance“ mit einer Ankündigung einen Scheißsturm.

Fünf sehr privilegierte Weiße sprachen über Rassismus – und hielten das Problem nicht für besonders ernst. Noch mehr: Gottschalk (70) sagte, er habe auf einer Kostümparty in Los Angeles zum ersten Mal in einer Jimi Hendrix-Verkleidung erlebt, wie sich ein Schwarzer fühlt. Übrigens meint er es nicht wütend, wenn er jemanden einen „Moor“ nennt. Generell sagte „Zigeunerschnitzel“ -Verteidiger Milski: Die ganze Debatte sei „völlig übertrieben“.

Verkleidet als Jimi Hendrix: Thomas Gottschalk verteidigte die Verwendung von Wörtern wie „Mohr“ in der WDR-Show „The Last Instance“. Er meint das nicht respektlos. © Quelle: Jens Kalaene / dpa-Zentralbild / dpa

Aufschrei im Netz, allgemeine Entschuldigung von den Teilnehmern. Beisenherz twitterte zerknirscht: „Wenn dort vier Kartoffeln sitzen und mit Karten über Rassismus abstimmen, stimmt etwas im Wesentlichen nicht.“ Kunze lobte die Verbesserung, und WDR schrieb, dass die Sendung nicht „so lief, wie wir es geplant und vorgestellt hatten“. Es stellt sich die Frage, was genau der Sender geplant und sich vorgestellt hatte. Schließlich beschloss er zweimal, die Sendung genau auf die gleiche Weise zu senden zuerst am 30. November, dann letzten Sonntag.

Dem WDR fehlt der Kompass

Sicherlich ist die Empörung in der Aufregungsblase der sozialen Medien immer lauter, als es für den Anlass angemessen wäre. Dieses WDR-Gespräch erregte jedoch zu Recht erhebliche Wut: Besetzung, Tonalität, Dramaturgie, Qualität der Debatte – es war ein Flop auf allen Ebenen. Dies verstärkt den Eindruck, dass insbesondere der WDR im Wirbel der Sparmaßnahmen, der Kritik von rechts und der Suche nach neuen TV-Formaten seinen inneren Kompass verloren hat.

Der Intendant Tom Buhrow (der bei seinem Amtsantritt noch flutete und „Liebe mit Ihnen bringt“) hat die Vorfälle sexueller Belästigung durch WDR-Führungskräfte nicht gut aufgeklärt, Schwachstellen in der internen und externen Kommunikation aufgedeckt und sich kürzlich selbst beschuldigt vorzeitig Kritiker der Kinderliedparodie „Meine Oma ist ein altes Umweltschwein“ im Staub.

Nun also der erfolglose Versuch, den Staub vom Talkshow-Format zu entfernen. Dies zeigt einmal mehr: Es gibt Themen, die für lockere, flauschige Parlando ungeeignet sind. Und: Anscheinend nehmen die Kölner gerne den billigen Applaus von korrektheitsmüden Mehrheitsdeutschen, die geschlechtsspezifische Sternchen, Feminismus und mehrgeschlechtliche Toiletten als provokativen Angriff auf traditionelle Lebensweisen missverstehen.

„Rassismus gedeiht immer dort, wo er geleugnet wird“

Es ist ein häufiger Fehler, nicht nur bei nicht farbigen Menschen anzunehmen, dass ein Problem, das Sie selbst nicht fühlen können, nicht besteht. Ebenso beliebt ist es, politische Sensibilität mit pünktlicher Spannung zu verwechseln. Natürlich können und sollten auch Weiße über Rassismus sprechen. Die Tatsache, dass sie dann gemeinsam zu dem Schluss kamen, dass das Problem nur mäßig dringend war, zeigte jedoch eine tiefe Unwissenheit. „Rassismus gedeiht immer dort, wo er geleugnet wird“, sagte der Senegalese Doudou Diène, Politikwissenschaftler und UN-Sonderberichterstatter für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bis 2008.

Zigeunerschnitzel? Mohrenkopf? „Wir haben überhaupt nicht darüber nachgedacht“, sagte Milski fast erstaunt. Ja, Herr Milski. Das ist das Problem.

Anmerkung des Herausgebers: Die ursprüngliche Überschrift des Textes hat sich geändert.

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