Washington. Es gibt nur wenige Sätze und eine lange Stille. Aber der beeindruckende Moment der Stille scheint einen Wendepunkt zu markieren.
Am Vorabend seiner Vereidigung landete Joe Biden in Washington und fuhr direkt von der Andrews Air Force Base zur National Mall. Die kilometerlange Promenade quer durch Washington ist wegen der rechtsgerichteten terroristischen Bedrohung hermetisch versiegelt. Viele Zuschauer wären wegen der Koronapandemie sowieso nicht zugelassen worden.
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100 Tage Vollgas – Biden hat große Pläne für den Start
Der zukünftige US-Präsident Biden hat angesichts der drängenden Krisen große Pläne für die ersten 100 Tage im Weißen Haus. © dpa
Aber gerade durch die Leere entfaltet der Moment der Erinnerung an die 400.000 Covid-Todesfälle in den USA eine beeindruckende Intensität. Die Sonne ist gerade in einem perfekten Fernsehmoment hinter dem Lincoln Memorial untergegangen.
Biden und seine Frau Jill stehen mit der zukünftigen Vizepräsidentin Kamala Harris und ihrem Ehemann Doug Emhoff vor der Marmorstruktur und blicken über die Reflecting Pools in Richtung Capitol. „Um zu heilen, müssen wir uns erinnern“, sagt Biden, während plötzlich 400 leichte Stelen am Wasser entlang leuchten: „Erinnern wir uns an alle, die wir verloren haben“. Dann schweigt er.
Der gewählte US-Präsident Joe Biden (r.) Und seine Frau Jill Biden (2.vr) sowie die gewählte US-Vizepräsidentin Kamala Harris und ihr Ehemann Doug Emhoff hören Yolanda Adams, die „Halleluja“, während eines Covid-19 Gedenkgottesdienst singt. © Quelle: Evan Vucci / AP / dpa
Es ist das erste offizielle Gedenken an die Opfer der Pandemie, die in Amerika seit zehn Monaten unkontrolliert tobt wie in kaum einem anderen Land. Und man kann sich nicht vorstellen, wie das Ereignis mit einem Präsidenten Trump verlaufen wäre: kaum unter anderthalb Stunden, mit einer pflichtbewussten halben Strafe für die Opfer und einem boomenden Selbstlob für die angeblichen Erfolge.
Biden wählte diesen Auftritt bewusst als erstes Date in Washington. Die Versöhnung des von der Pandemie, einer Wirtschaftskrise und vier Jahren extremer Polarisierung betroffenen Landes war lange Zeit sein Thema und sollte auch nach der Vereidigung am heutigen amerikanischen Mittag (18.00 Uhr MEZ) im Mittelpunkt der Ansprache stehen.
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Bidens emotionaler Abschied von Delaware
Kurz vor seiner Abreise nach Washington gedachte der gewählte US-Präsident seinem verstorbenen Sohn Beau. © Reuters
Persönliches Anliegen ist Bidens Markenzeichen
Persönliches Mitgefühl und Mitgefühl sind die Markenzeichen des Mannes, der bei einem Verkehrsunfall seine erste Frau und Tochter verlor und sich Jahrzehnte später von seinem Lieblingssohn verabschieden musste, der einen Gehirntumor hatte. Während zu Beginn von Trumps Präsidentschaft die Zahl der Besucher der National Mall prahlte, markiert die Verlassenheit des riesigen offenen Raums den Beginn der Amtszeit seines Nachfolgers.
Eigentlich wollte Biden von seiner Heimatstadt Wilmington, Delaware, mit dem Zug nach Washington fahren, so wie er es in den 36 Jahren seiner Zeit als (zunächst alleinstehender) Vater und Senator immer getan hatte. Aber nach dem blutigen Angriff des Trump-Mobs auf das Kapitol und neuen Terrorwarnungen schien die anderthalbstündige Zugfahrt zu gefährlich.
So stieg der 78-Jährige mit seiner Frau in ein Flugzeug – nicht wie bei solchen Gelegenheiten üblich in einem Regierungsflugzeug, sondern in einem Charterflugzeug. Die alte Regierung hatte ihm kein offizielles Transportmittel gegeben.
Donald Trump erscheint in dieser Situation arm und bitter. Auch in seiner letzten Videobotschaft bleibt er sich selbst treu. Er lobt seine angeblichen Erfolge fast 20 Minuten lang und ringt dann ein paar gute Wünsche für die „nächste Regierung“, die „vor allem Glück“ braucht. Er erwähnt den Namen Biden nie ein einziges Mal.
An diesem Mittwochmorgen möchte er sich eine weitere militärische Zeremonie gönnen, bevor er Washington verlässt, um sein neues Zuhause in Palm Beach, Florida, zu finden.
Weder der republikanische Mehrheitsführer des Senats, Mitch McConnell, noch der stets treue Vizepräsident Mike Pence wollen an der bizarren Veranstaltung teilnehmen. Im Gegensatz zu Trump kommen sie zu Bidens Amtseinführung auf der Westseite des Kapitols.
Zu diesem Zeitpunkt hat Biden bereits zurückgelassen – den aus seinem Heimatstaat Delaware, in dem er seit fast sieben Jahrzehnten lebt. „Wenn ich sterbe, wird ‚Delaware‘ in mein Herz geschrieben“, sagte er am Dienstag bei der Abreise emotional.
Trump interessiert sich nur für Donald
Dann macht Biden, was er am meisten mag, wurde aber wegen der Koronapandemie monatelang abgelehnt: Er mischt sich – mit einer Maske – kurz mit dem Publikum, in dem es viele Gefährten und Freunde gibt. Biden greift nach ihrem Revers, klopft ihnen auf die Schultern oder nimmt sie in die Arme. Die Leibwächter des Secret Service sehen mehr als einmal kritisch aus.
Während Trump sich bisher nur für eine Person namens Donald interessiert hat, ist sein Nachfolger ein echter Fischer von Menschen mit einem manchmal irritierenden Übermaß an Empathie.
Joe Biden, gewählter Präsident der Vereinigten Staaten, weint, als er im Major Joseph R. „Beau“ Biden III Nationalgarde / Reservezentrum spricht. © Quelle: Evan Vucci / AP / dpa
Wenn sich das Gespräch seinem verstorbenen Sohn Beau zuwendet, kann er die Tränen nicht zurückhalten: „Ich habe nur ein Bedauern“, sagt er: „Dass er nicht hier ist. Weil wir ihn als Präsidenten vorstellen sollten. „“