Auf einer Baustelle in Leipzig: Giftige Flüssigkeit sickert aus Altlast
von Arnd Groß und Edgar Lopez, MDR Recherche
Stand: 07. September 2023, 11:39 Uhr
Auf einer Baustelle für neue Wohnhäuser mitten in Leipzig sickert giftige Flüssigkeit. Eine Altlast aus der Nachbarschaft. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Getan wurde wenig und auch jetzt wird erst mal nur das Nötigste unternommen.
Im März dieses Jahres wird es den Arbeitern auf der Baustelle in der Leipziger Shakespearestraße zu bunt. Es sickert gelbe Flüssigkeit in die neu ausgehobene Grube. Die Baustelle gehört der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB). Die Aufsichtsbehörde, die Landesdirektion Sachsen, wird informiert. Arbeitsschutz geht vor. Die Flüssigkeit wird chemisch untersucht. Das Ergebnis, das dem MDR und dem Leipziger Stadtmagazin Ahoi vorliegt: Die gelbe Brühe enthält hohe Mengen Chrom VI, ein Stoff der hochgiftig ist.
Es gibt einen Prüfwert, der hundertfach überschritten ist. Chrom VI ist krebserregend, deswegen werden auch keine Grenzwerte ausgewiesen, da es keine tolerierbare Dosis gibt, die zugrunde gelegt werden kann.
„Chrom VI ist sehr gut löslich,“ sagt Professor Holger Weiß vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig. „Und dieses so kontaminierte Wasser fließt dann nach unten, bis es auf Grundwasser trifft oder auf eine stauende Schicht, also eine Tonschicht zum Beispiel.“ Solche Altlasten fänden sich in ganz Deutschland, erklärt der Grundwasserexperte, unter alten Gerbereien, Galvanik- oder Holzimprägnierungsbetrieben.
Die Herkunft des Giftes ist relativ schnell klar. Auf der Nordseite der Baugrube in der Shakespearestraße steht ein flaches Gebäude, in dem bis 1999 ein Metallveredelungsbetrieb seinen Sitz hatte. Seit 1943 wurden hier in der Paul-Gruner-Straße Metalle bearbeitet. Spätestens seit 1999 ist klar, der Boden unter der Metallwerkstatt ist massiv kontaminiert mit sehr giftigem Chrom VI. Das belegt ein Gutachten im Auftrag der Stadt Leipzig. Der am stärksten belastete Boden befindet sich unterhalb bzw. neben einem Galvanikraum. Die Gutachter hatten damals Erdproben genommen. Genau dieser Raum befindet sich an der Grundstücksgrenze.
Die Gutachter beschreiben das hohe Risiko, das von der Anlage für Mensch und Umwelt ausgeht. Trotzdem empfehlen sie der Stadt Leipzig zunächst nichts zu unternehmen. In das Altlastenkataster wird der Status, „belassen“ eingetragen. Erst wenn gebaut werde, müsse gehandelt werden. Regelmäßige Nachprüfungen seien angebracht.
Gehandelt wird nun auf der Baustelle Shakespearestraße nebenan. Die Landesdirektion Sachsen weist an, dass das giftige Sickerwasser aufgefangen, abgepumpt und ordentlich entsorgt wird und die angrenzende Fläche zum ehemaligen Galvanikbetrieb zunächst mit einer Folie abgedeckt wird, damit das giftige Chrom VI sich nicht über die Luft verbreitet. Die Wand sollte dann im August 2023 abgedichtet werden.
Die Bodenproben von der restlichen Baustelle sind unauffällig. Auch die Stadt Leipzig wird tätig. Sie versucht zu klären, welche Auswirkungen auf das Grundwasser bestehen. In einem 60 Meter entfernten Garten wird Grundwasser aus einem Brunnen untersucht. Ergebnis: Hier ist das Grundwasser nicht verseucht. Bleibt das Grundstück mit der Metallverarbeitung. Ein Privatgrundstück.
Seit Monaten können die Anwohner in die Grube schauen. Mit Verwunderung: „Wir wurden überhaupt nicht informiert“, heißt es, oder „Wir haben es gesehen, dass da voll Verkleidete Messungen gemacht haben, aber was dabei herausgekommen ist, wissen wir nicht.“ Ein Anwohner meint: „Mich wundert es, dass dann da nebenan direkt weitergebaut werden kann.“ Wenn er in das neu gebaute Haus ziehen würde, „würde ich mir auch denken, da ist eine Grube mit toxischer Flüssigkeit.“
Die Bundesländer kennen den größten Teil ihrer kontaminierten Liegenschaften, Gewässer und Flächen – darunter auch militärisch genutzte Gebiete. Eine Statistik des Umweltbundesamtes zeigt, das ostdeutsche Bundesländer zwar immer noch eine große Anzahl von altlastverdächtigen Flächen besitzt. In Thüringen sind das ca.10.000, in Sachsen gut 18.000 Flächen. Hessen und Niedersachsen haben da im Vergleich deutlich mehr Verdachtsflächen, die mit Altlasten belastet sein könnten.
Dieser Artikel ist im Rahmen eines neuen Investigativ-Teams des Mitteldeutschen Rundfunks entstanden, in dem Journalistinnen und Journalisten aller drei Landesfunkhäuser (MDR SACHSEN-ANHALT, MDR THÜRINGEN, MDR SACHSEN) zusammenarbeiten. Ziel ist, regionale Kompetenzen zu stärken.
Recherche-Schwerpunkte sollen unter anderem Rechtsextremismus, organisierte Kriminalität und Korruption auf kommunaler Ebene sein. Bei Anregungen zu investigativen Themen erreichen Sie das neue Investigativnetzwerk MDR Recherche unter recherche@mdr.de
In der Leipziger Innenstadt besteht ein Dilemma auch darin, dass der Galvanikbetrieb aus den 1940er Jahren zu einem Privatgrundstück gehört und hier nicht gebaut wird, sondern nur nebenan. Für das Baugrundstück