Auf der Suche nach Koronaviren gehen Wissenschaftler des Umweltforschungszentrums (UFZ) in Leipzig dorthin, wo Gesundheitsforscher nicht zu erwarten wären: zu den Kläranlagen der Republik. „In Deutschland wurde vergessen, dass man im Abwasser viel nachweisen kann“, sagte der Umweltvirologe und Projektmanager Rene Kallies. Ziel des Helmholtz-UFZ-Teams ist es, gemeinsam mit Forschern der TU Dresden ein Frühwarnsystem für die SARS-CoV-2-Infektionsrate in der Bevölkerung zu entwickeln.
Ende letzten Jahres haben die Forscher rund 2500 Proben aus Kläranlagen in ganz Deutschland gesammelt. Sie wurden nach dem genetischen Material des Coronavirus durchsucht. Im Prinzip ist dies genau der gleiche diagnostische Test wie in einem normalen Labor, sagte Kallies. Das heißt: ein PCR-Test. Die Ergebnisse der Forscher wurden noch nicht veröffentlicht. Aber Kallies war bereits überzeugt: „Es funktioniert.“
Auch hilfreich, um Debatten zu erleichtern
Wenn die Anzahl der Koronafälle steigt, liegt ein „Signal“ im Abwasser vor. Und das ist früher als die offiziellen Umfragen. Da es einige Zeit dauert, bis Patienten zum Arzt gehen, einen Test machen und ein Ergebnis erhalten. Das Abwasser würde auch Personen erfassen, die überhaupt nicht getestet wurden oder nicht wissen, dass sie infiziert sind. Das System könnte auch für Debatten über die Lockerung hilfreich sein, sagte Kallies. „Man kann es auch anders herum betrachten: als Entwarnung.“
Die Menschen in Leipzig und Dresden sind nicht die einzigen, die versuchen, das Abwasser zu überwachen. Es gibt ähnliche Projekte in München / Karlsruhe, Darmstadt, Hannover und Aachen. „Wir kennen uns alle“, sagte Kallies. Und alle verfolgten ein gemeinsames Ziel: eine Methode zu entwickeln, die deutschlandweit anwendbar ist. „Wir wollen es anwendbar machen. Wettbewerbsorientiertes Denken wäre fehl am Platz “, sagte Kallies. Der Umweltvirologe denkt auch über die Koronapandemie hinaus: Influenzaviren oder multiresistente Keime kommen auch im Abwasser vor.
Abwasserüberwachung: Pilotprojekt in Sachsen-Anhalt?
Es ist noch unklar, ob es in Zukunft eine solche Abwasserüberwachung in Deutschland geben wird. Der Freistaat Sachsen hat das Projekt in Leipzig und Dresden zunächst mit 1,2 Millionen Euro finanziert, wie vom Dresdner Wissenschaftsministerium angekündigt. Das Sozialministerium hingegen hält „etablierte Verfahren zur Überwachung von Infektionsereignissen“ für geeigneter. Ein Hindernis ist, dass das Wassermanagement mit seinen vielen kommunalen Kläranlagen sehr klein ist.
Im Nachbarland Sachsen-Anhalt besteht großes Interesse an der Installation eines Korona-Frühwarnsystems mittels Abwasseranalysen, so das Umweltministerium in Magdeburg. Ein Pilotprojekt wird derzeit geprüft. Zunächst sollte geklärt werden, mit welchem Aufwand die Abwasserüberwachung durchgeführt werden kann.
Von RND / dpa