Berlin. Was ändert sich für die SPD, wenn Sie den größten Regionalverband in Nordrhein-Westfalen leiten?
Eine starke nordrhein-westfälische SPD wird sich in der Bundes-SPD bemerkbar machen. Was ich auf Landesebene nicht regeln kann, werde ich auf Bundesebene einbringen. In der Vergangenheit habe ich mich nicht gescheut, mich zu föderalen politischen Fragen zu äußern. Das aktuelle Wohlfahrtsstaatkonzept der SPD ist das Ergebnis einer Diskussion, die wir in Nordrhein-Westfalen begonnen haben. Deshalb unterstütze ich auch den Gesetzesentwurf von Arbeitsminister Heil zur Reform von Hartz IV. Leider blockiert die Union hier jede Verbesserung.
Bundesweit ist die NRW-SPD vor allem für viele Konflikte bekannt. Wagen Sie es, Ihre Gegner zu integrieren?
In den letzten Tagen ist es uns gelungen, eine große Einheit zwischen Kommunal-, Landes- und Bundesebene zu erreichen. Ich persönlich vertraue darauf, eine Einigung zwischen der Partei zu erzielen. Es ist mir auch gelungen, die Einheit in der Fraktion zu gewährleisten.
Wie muss das Ergebnis am 6. März aussehen, damit sie es als Rückenwind sehen können?
Ich spüre bereits viel Rückenwind, der uns allen Auftrieb gibt. Die Delegierten entscheiden, in welchem Prozentsatz dies ausgedrückt wird.
Möchten Sie 2022 als Premierminister kandidieren?
Ja. Ich bin sehr dankbar und sehe es als Vorteil an, dass wir diese Entscheidung getroffen haben.
Welche Punkte möchten Sie inhaltlich setzen?
Die Koronapandemie hat viele vergessene Missstände hervorgehoben. Wir brauchen einen sozialen Neustart in ganz Deutschland. Wer in der Vergangenheit kein Gewinner im Bildungssystem war, ist jetzt umso mehr auf der Verliererseite im Homeschooling. Ich kämpfe dafür, dass Kinder wieder echte Aufstiegschancen haben. Das war in den 1970er und 1980er Jahren besser als heute.
Können Sie hierfür eine konkrete Anfrage formulieren?
Nur ein Beispiel, das mir sehr wichtig ist: Wenn wir mit den Impfungen so weit sind, dass wieder Sport in Vereinen betrieben werden kann, möchte ich, dass alle Kinder einen Gutschein für eine einjährige neue Mitgliedschaft in einem Sportverein erhalten. Das Land sollte die Kosten tragen. Dies wäre ein fairer und solidarischer Beitrag zu einer besseren Teilnahme, insbesondere für Kinder, deren Eltern sich eine solche Mitgliedschaft sonst nicht leisten könnten.
In NRW würde das rund 70 Millionen Euro kosten. Angesichts dessen, was für die Folgen der Pandemie noch zu zahlen ist, ist das eine kleine Summe. Das hilft den Kindern. Das hilft aber auch den Vereinen. Viele von ihnen waren mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert.
Es gibt so viele andere Gruppen, die hoffen, dass sich ihre Situation nach der Pandemie verbessern wird.
Auf jeden Fall müssen wir der Pandemie entgehen, dass wir uns wieder stärker auf den sozialen Zusammenhalt konzentrieren. In der Arbeitswelt sind Supermarktmitarbeiter und Pflegekräfte im Sturm, insbesondere solche mit besonders geringem Einkommen. Eine Verkäuferin im Lebensmitteleinzelhandel verdient 1.800 Euro brutto. Wir müssen faire Löhne für diese Arbeiter finden.
Auch im Gesundheitssektor muss die Wertschätzung durch angemessene Bezahlung zum Ausdruck gebracht werden. Weitere Tarifverträge müssen allgemein verbindlich erklärt werden. Ein Mindestlohn von 12 Euro ist nur eine Untergrenze. Wir müssen auch viel intensiver gegen Scheinselbständigkeit und Ketten von Subunternehmern vorgehen, wie es Arbeitsminister Heil mit seiner Gesetzgebung für die Fleischindustrie gelungen ist. Ein Lieferbote muss auch einen festen Arbeitsplatz bei der Sozialversicherung bekommen.
Was braucht die SPD insgesamt, um aus ihrem 15-Prozent-Umfragetief herauszukommen?
Mit Olaf Scholz als Kanzlerkandidat sind wir definitiv gut aufgestellt.
Die vorzeitige Nominierung hat an den Umfragen nichts geändert.
Stimmt. Damit sind wir nicht zufrieden. Aber Sie müssen auch sehen: Die hohen Wahlzahlen der Union sind nur mit dem Namen Angela Merkel verbunden. Aber sie wird nicht wieder antreten. Die SPD hingegen hat einen erfahrenen Vizekanzler, der fest in der Koronapandemie verankert war und auch international bewiesen hat, dass er für Stabilität in der Krise sorgen kann.
Auch bei einem Angela Merkel-Ähnlichkeitswettbewerb hätte Armin Laschet keine schlechten Chancen.
Uns kann nichts Besseres passieren, als dass Armin Laschet Olaf Scholz ‚Gegner wird. Armin Laschet und seine Verwirrung in der Corona-Politik können der Bundesrepublik nicht ernsthaft anvertraut werden. Wenn er gegen Olaf Scholz antritt, stehen sich zwei völlig unterschiedliche Politiker gegenüber.
Laschet steht für Chaos, Unbeständigkeit und Unzuverlässigkeit – Scholz für Stabilität, Klarheit und Führung. Laschet setzt heute nicht um, was er gestern mit dem Kanzler beschlossen und sich angekündigt hat. Wir brauchen kein solches Hin und Her mit einem Kanzler. Viele hielten Friedrich Merz für den besten Kontrast zu Olaf Scholz. Aber wenn Sie genauer hinschauen, ist es Armin Laschet.
Müssen die Steuern erhöht werden, um das Land nach der Pandemie wieder auf die Straße zu bringen?
Deutschland ist finanziell so stark, dass es die Kosten der Pandemie tragen kann. Unabhängig davon bin ich jedoch der Meinung, dass Menschen mit sehr hohen Einkommen ab 200.000 Euro pro Jahr und sehr Reichen mehr zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben beitragen müssen. Die Hauptsteuerbelastung trägt die Einkommensmittelschicht. Der erste Schritt in die richtige Richtung wurde unternommen, wobei höhere Einkommen immer noch den Solidaritätszuschlag zahlen. Und wir müssen sicherstellen, dass die Gewinner der Pandemie wie Amazon in Deutschland überhaupt Steuern zahlen.
Was halten Sie von der Debatte über Impfprivilegien? Bist du dafür?
Die Debatte kommt zur falschen Zeit. Solange wir nicht jedem ein Impfangebot unterbreiten können, halte ich diese Diskussion für verfrüht. Wenn sich jedoch eine große Anzahl von Menschen weigert, geimpft zu werden, kann dies nicht bedeuten, dass die anderen, die geimpft werden, weiterhin Einschränkungen unterliegen. Das würde der Solidarität völlig fehlen. Dann können Sie auch die Tatsache diskutieren, dass die Beschränkungen für geimpfte Personen aufgehoben werden müssen.
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Arbeitsminister Heil: Plädoyer für eine koronabezogene Hartz IV-Subvention
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will Zuschläge auf Sozialleistungen für Koronaschutzartikel gewähren. © Reuters
Sollten diese Masken angesichts der neuen Verpflichtung, medizinische oder FFP2-Masken im öffentlichen Verkehr zu tragen, kostenlos an Hartz IV-Empfänger verteilt werden?
Nicht nur für Hartz IV-Empfänger! Medizinische Masken und FFP2-Masken sollten der gesamten Bevölkerung kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Die Masken sind eine der wirksamsten Maßnahmen gegen die Pandemie, sie haben die geringsten Auswirkungen auf die bürgerlichen Freiheiten und kosten den Staat am wenigsten. Deshalb haben wir letzte Woche beim Land Nordrhein-Westfalen beantragt, dafür 500 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Leider lehnten die CDU und die FDP dies ohne Angabe von Gründen ab.
Arbeitsminister Hubertus Heil will Masken für Bedürftige subventionieren. Ist das der richtige Weg?
Zunächst einmal steht außer Frage, dass dies der richtige Ansatz ist. Die Belastung, insbesondere für bedürftige Familien, hat infolge der Pandemie enorm zugenommen. Für viele zum Beispiel fällt das kostenlose Mittagessen in der Schule derzeit weg, und auch die Ausgaben für Hygiene- und Schutzartikel kommen ins Büro. Es ist mir jedoch wichtig, dass wir auch an diejenigen denken, die keine grundlegende soziale Sicherheit erhalten, aber dennoch knapp über dem Existenzminimum leben. Dies könnte beispielsweise mit einem Zuschuss für Kindergeld oder der Grundrente gelöst werden.