Angst vor Abschiebungen: Türkei hält Uiguren fest
Istanbul. Als am 20. November um Mitternacht eine Anti-Terror-Polizeieinheit seine Wohnung in Istanbul durchsuchte und ihn in ein Abschiebezentrum brachte, dachte Ihsan Abdulbasit, er sähe seine Frau und seine zweijährige Tochter nie wieder.
Der 29-Jährige, ein Angehöriger der muslimischen Minderheit der Uiguren, wurde nicht nur mit der Abschiebung nach China, sondern auch mit dem Tod bedroht. Nach einem Monat entschied das Abschiebezentrum, dass er wieder gehen darf.
Was genau man dem Familienvater, der für die Türkei eine reguläre Aufenthaltserlaubnis hat, vorwarf? Er weiß es bis heute nicht. Ihsan berichtet, über anonyme Social-Media-Accounts vor seiner Festnahme Morddrohungen erhalten zu haben. Auf sein Handy habe er WhatsApp-Sprachnachrichten bekommen, in denen eine männliche Stimme auf Chinesisch verlangt habe, er solle aufhören, China zu kritisieren. Andernfalls drohten „Konsequenzen“.
Zeugen und Anwälte berichten der Nachrichtenagentur dpa, dass die Türkei seit Monaten mehrere Uiguren in Abschiebezentren wegen angeblicher Terrorvorwürfe, aber ohne Gerichtsverfahren, festhalte. Menschenrechtler warnen vor deren Abschiebung nach China. Eine Abstimmung des türkischen Parlaments über ein Rückführungsabkommen mit China von 2017 steht aus. Wie viele Uiguren sich in den Zentren befinden, ist unklar. Von der türkischen Migrationsbehörde gab es dazu keine Stellungnahme.
Die Türkei ist heute Zufluchtsort für etwa 50.000 Uiguren, die aus Angst vor Verfolgung aus China flohen. Ankara hatte lange Zeit turksprachige Uiguren willkommen geheißen. Doch kürzlich habe die Regierung ihre Politik gegenüber den Uiguren verschärft, sagt der Anwalt Ilyas Dogan.
Eine „wachsende, wirtschaftliche Abhängigkeit“ von China erlaube es Peking, politischen Druck auf Ankara auszuüben. Als Anwalt vertritt Dogan einige der Uiguren, die festgehalten werden. Dabei hätten sie, sagt er, keinerlei Vorstrafen – „nicht einmal einen Bußgeldbescheid“.
Angst vor Internierungslagern
Seit Dezember versuchen Uiguren in der Türkei, auf das Risiko von Abschiebungen aufmerksam zu machen. Viele sagen auch, dass Familienmitglieder in Chinas nordwestlicher Region Xinjiang vermisst werden, wo viele ethnische Minderheiten leben.
Ihre Befürchtung: Die Angehörigen seien wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Internierungslager gebracht worden sein. Nach Pekings Darstellung sind diese Orte „Umerziehungs“-Zentren, wo angebliche Separatisten oder religiöse Extremisten „rehabilitiert“ würden.
Ihsan sagt dazu: „Wir sind keine Terroristen.“ Er glaubt, dass eine Kampagne von Freunden beigetragen hat, ihn aus der Haft freizubekommen. „Nicht alle Uiguren, die in diesen Zentren festgehalten werden, haben soviel Glück.“
Einer davon ist Abdurrahman A., Vater von fünf Kindern. Der 36-Jährige wollte im Oktober aus Istanbul zu seiner Familie in die 800 Kilometer östlich gelegene Stadt Kayseri. Dann aber brachte ihn die Polizei in ein Zentrum nordwestlich von Istanbul. Dort sitzt er heute noch. Seine Ehefrau Fatma braucht die Nachbarn, damit sie die Miete bezahlen kann.
Die Lage von Abdurrahmans Familie wirft ein Licht auf die wachsenden Sorgen unter den Uiguren. Es sei kein Geheimnis, dass die türkische Polizei Leute aufgrund von „Tipps, Namenslisten oder Social-Media-Konten“, die China zur Verfügung stelle, ins Visier nehme, sagt der Aktivist Nureddin Izbasar.
Außenminister Mevlüt Cavusoglu bestätigte im Dezember, dass China um einige Rückführungen gebeten habe. Die Türkei missbillige aber, wenn „Unschuldige“ ins Visier genommen würden. Menschenrechtler befürchten jedoch, dass Ankara dem Druck nachgeben wird. Wann das Parlament über das Repatriierungsabkommen entscheidet, ist noch offen.
Wirtschaftliche Annäherung der Türkei an China
Die wirtschaftliche Annäherung an China zeigt sich vor allem seit 2018, als die staatliche Industrial and Commercial Bank of China der Türkei 3,6 Milliarden Dollar Kredite gab. China investierte zudem mehr als zwei Milliarden Dollar in der Türkei im Rahmen des Projekts für eine „Neue Seidenstraße“. Aus Angst vor einer Abschiebung sind mehrere Uiguren aus der Türkei in Länder wie Deutschland oder die Niederlande ausgewandert.
Einer von ihnen, Omar Bekali, berichtet von „höllischen“ sieben Monaten in einem chinesischen Lager. Dort würden Häftlinge „brutal gefoltert“, damit sie ihre muslimische Identität verleugnen. Dazu gehöre, an einen „Tigerstuhl“ gefesselt zu werden – ein Metallgestell, das kaum Bewegungsfreiheit lässt -, Schweinefleisch essen zu müssen oder stundenlang Chinas Nationalhymne singen zu müssen.
Der Uigure Mirzahmet Ilyasoglu sagt: „Die Rückkehr nach China bedeutet, die Uiguren letztendlich in den Tod zu schicken. Am Ende wollen sie uns aussterben sehen.“
RND/dpa