Berlin. Die Zahl der Krankheitstage aufgrund von psychischen Problemen hat sich innerhalb von 20 Jahren vervierfacht: Während 1998 27,3 Millionen verlorene Tage in die Diagnosegruppe fielen, waren es 2009 52,4 Millionen. 2018 stieg diese Zahl auf 111,8 Millionen. Ältere Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialwesen sind von dieser Entwicklung besonders betroffen. Dies ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der linken Fraktion, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zur Verfügung steht.
Durchschnittlich 3,0 Krankheitstage pro Jahr aufgrund von psychischem Stress
Nach Angaben der Bundesregierung waren die Beschäftigten 2018 aufgrund von psychischen Problemen durchschnittlich drei Tage krankgeschrieben. Frauen über 45 Jahre waren von fünf Krankheitstagen besonders betroffen. Die Krankheitsrate war mit durchschnittlich 4,4 Tagen Verlust im Gesundheits- und Sozialwesen besonders hoch. Im Jahr 2018 betrug die Arbeitsunfähigkeit von Frauen über 45 in dieser Branche 6,2 Tage. Die Regierung sagte, sie habe keine neueren Daten.
Die zunehmende Anzahl verlorener Tage führt auch zu immer höheren Kosten. Während die Verluste aufgrund von Krankheitstagen 1998 2,4 Milliarden Euro betrugen, wurden sie 2018 auf 13,3 Milliarden Euro veranschlagt. 2019 beruhten 41,7 Prozent aller neuen Invalidenrenten auf der Diagnose „psychischer Störungen“.
Die Offensive der Bundesregierung soll das Verständnis für psychische Gesundheitsprobleme fördern
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), Arbeitsministerin Hubertus Heil (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) haben im Oktober 2020 die „Offensive für psychische Gesundheit“ gestartet, um das Bewusstsein für das Thema zu schärfen und einen offeneren Ansatz zu fördern psychologischer Stress. Die Regierung betonte auch, wie wichtig es ist, in Unternehmen eine Risikobewertung im Kampf gegen psychischen Stress durchzuführen.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Aufforderung der Linken zeigt jedoch, dass nur fünf Prozent der im Jahr 2019 zufällig untersuchten Unternehmen die gesetzlich vorgeschriebene Risikobewertung tatsächlich vollständig durchgeführt haben. In 48 Prozent der 6.500 geprüften Unternehmen wurde dieses Mittel des Arbeitsschutzgesetzes nicht einmal angewendet.
Krellmann: „Wir brauchen eine Anti-Stress-Regelung“
Die Linkspartei forderte erneut eine „Anti-Stress-Regelung“. Die Arbeitsmarktexpertin Jutta Krellman sagte gegenüber dem RND: „Es ist höchste Zeit für mehr Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz in allen Bereichen der Wirtschaft.“ Die vorhandenen Instrumente waren unzureichend. „Wir brauchen eine Anti-Stress-Regelung, die den Arbeitgebern klar vorschreibt, wie sie die Arbeitnehmer vor Stress, Müdigkeit und Monotonie schützen können“, sagte sie.
Darüber hinaus sprach sich Krellmann für eine Ausweitung der Mitarbeiterbeteiligung aus. „Starke Betriebsräte, die sich schützend einmischen können, sind die richtige Antwort auf Stress und Arbeitsintensivierung. Insbesondere dort, wo es keine Betriebsräte gibt, muss der Staat viel häufiger und gezielter kontrollieren “, sagte sie. Dies erfordert nicht nur mehr Personal und digitale Geräte, sondern auch „den Mut, abschreckende Bußgelder zu zahlen“.
Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit für eine Anti-Stress-Regelung. Es bezieht sich auf Antworten auf frühere Anfragen. Es heißt unter anderem, dass sowohl Unter- als auch Überanstrengung nicht nur für psychische Erkrankungen, sondern auch für Herz-Kreislauf- und Muskel-Skelett-Erkrankungen ein Gesundheitsrisiko darstellen können. Deshalb sollte es „nicht das Ziel einer humanen Arbeitsgestaltung sein, Stress grundlegend abzubauen“. Vielmehr ist es wichtig, „die Belastung optimal an die Bedürfnisse und Ressourcen der einzelnen Mitarbeiter anzupassen“.