Rosa Luxemburg: Was bedeutet es heute, links zu sein?
Berlin. Rosa Luxemburg war es gewohnt, aufzufallen – die Sozialistin war auch auf Parteiversammlungen oft die einzige Frau unter vielen wohlgesetzten Männern. Zugleich musste sie kämpfen, um nicht übersehen zu werden: Mit ihren nur 1,46 Metern Körpergröße, als Akademikerin mit Migrationshintergrund aus Russisch-Polen und jüdischer Familiengeschichte. Ihre Ermordung 1919 durch Freikorps-Soldaten zementierte die Spaltung der Arbeiterbewegung, doch bis heute ist sie Ikone aller Gefühlslinken.
Umstritten bleibt sie, weil sie die Revolution so sehr liebte, dass sie dafür auch Gewalt befürwortete. Am 5. März 1871 wurde Rozalia Luxenburg, wie sie damals noch hieß, im Städtchen Zamosc geboren. In Zürich studierte und promovierte sie, in Deutschland redete, schrieb und organisierte sie – zeitweise auch in der Redaktion der „Leipziger Volkszeitung“.
Zum 150. Geburtstag von Luxemburg ist die Linke mindestens so verunsichert wie im Kaiserreich. Ging es damals um die Frage „Reform oder Revolution“, geht es heute um „Identität oder soziale Frage“. Ist Klimaschutz links? Gibt es noch Klassen? Wie radikal muss, darf eine Linke sein? Und wem gehört Rosa Luxemburg eigentlich heute? „What’s left?“, fragen wir – was bleibt, und was ist heute links? Und gehen auf Tour.
Zunächst zur SPD-Vorsitzenden Saskia Esken (59). Die SPD will wieder linker daherkommen, den aktiven Staat in den Mittelpunkt stellen. Esken hat den neuen Linkspartei-Chefinnen Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler sehr freundlich gratuliert. Mit einem gemeinsamen Treffen eilt es dennoch nicht, sagt sie. „Die beiden neuen Linken-Parteichefinnen sollen jetzt erst einmal in Ruhe in ihren neuen Positionen ankommen. Dann gehen wir mal zusammen in ein Lokal, wenn das wieder geht. Natürlich sind wir gesprächsbereit, wir sprechen mit allen demokratischen Parteien.“ Die Frage, wem Rosa Luxemburg gehört, sei für sie heute nicht mehr relevant. Ihr Erbe schon.
Saskia Esken über Rosa Luxemburg und was links sein heute für sie bedeutet
„Rosa Luxemburg ist eine historische Figur. Sie war eine herausragende Intellektuelle und für viele Menschen ihrer Zeit eine Ikone. Aber natürlich hat sie auch Widerspruch provoziert. Und das zu Recht, weil viele ihrer Ansichten auch aus heutiger linker Sicht ablehnend zu betrachten sind. Dass sie den Parlamentarismus für zu schwach hielt, ist ein Phänomen ihrer Zeit – sie konnte ja nicht erfahren, was parlamentarische Demokratie zu leisten imstande ist. Dass sie die Revolution, auch mit Mitteln der Gewalt, als einzigen Weg sah, die Welt nach vorne zu bringen, ist nichts, womit wir uns heute identifizieren können und sollten.
Anderes aber bleibt: Gerade in Zeiten von Corona müssen wir den Blick auf die ökonomischen Bedingungen der Frauen lenken: Wenn es eng wird und krisenhafte Situationen auftreten, dann treten schnell die traditionellen Rollenmuster wieder hervor. Wenn die Ehemänner das Doppelte verdienen, bleibt zwangsläufig die Frau zu Hause, wenn die Kinderbetreuung fehlt. Da müssen wir Entgeltgleichheit sicherstellen. Und wir sehen auch: Ohne Quote geht es nicht. Das Bewusstsein, dass Arbeitnehmer*innen gemeinsam Interessen durchsetzen können, wenn sie sich organisieren, ist leider ein Stück weit verloren gegangen. Nicht nur in der Plattformökonomie. Das Bewusstsein, gemeinsam etwas erreichen zu können, ist nicht mehr gelernt.“
Daphne Weber (25) wurde auf dem Linken-Parteitag erstmals in den Parteivorstand gewählt. Rosa Luxemburg hat die Studentin und Jungpolitikerin immer im Blick: Ein Porträt steht auf ihrem Schreibtisch. Die Linkspartei nimmt das Erbe der Revolutionärin im Gegensatz zur SPD bis heute gern an: Die Parteistiftung ist nach ihr benannt, zum 150. Geburtstag plant die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein großes Erinnerungsprogramm.
Daphne Weber über Linkssein in der heutigen Zeit und das Erbe von Rosa Luxemburg
„Links zu sein bedeutet, Eigentums- und Demokratiefragen miteinander zu verbinden. In der Corona-Krise sehen wir es deutlich: Niemand sollte zurückgelassen werden, die Reichen sollten für die Krise zahlen. Wir stellen die Eigentumsfrage, wir wollen die Wirtschaft gerecht und ökologisch organisieren. Rosa Luxemburg wollte die Revolution, wollen wir sie auch? Revolution wird als Begriff inflationär benutzt, jedes neue Shampoo wird heute als Revolution beworben.
Was von Rosa Luxemburg bleibt, ist die Forderung nach einer revolutionären Realpolitik. Wir müssen an den konkreten Problemen des Alltags ansetzen, auf eine befreite und gerechte Gesellschaft ohne Ausbeutung, ohne Diskriminierung hinarbeiten. Eine andere Gesellschaft ist möglich, es gibt Alternativen. Von Rosa lernen heißt, die Arbeiterklasse ernst zu nehmen und dass es immer Bewegung von unten braucht.
Der Kampf gegen rechts muss geführt werden. Die AfD inszeniert sich als Opfer, aber wer ihre Politik betreibt, muss mit Widerspruch rechnen. Das machen die Antifas vor Ort, indem sie Wahlkampfstände abschirmen und Gegendemos anmelden.
Streiks und ziviler Ungehorsam sind nach wie vor wichtige Protestmittel. Sie hat von der Spontaneität der Massen geschrieben, das mag heute veraltet klingen, aber es ist aktuell. Bewegungen bra