Der Wert einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Der Umgang mit der Koronakrise zeigt, wie hoch dieser Wert in diesem Land ist. Jung und Alt gehören zu den Verlierern der Pandemie. Laut Bildungs- und Gesundheitsexperten sind die sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer einmonatigen Kindertagesstätte und Schulschließungen für Kinder und Jugendliche verheerend. Fast ein ganzes Jahr müsste still sitzen. Während die Corona-Generation ihre Lebenschancen verloren hat, ist Covid-19 tödlich, insbesondere für die über 70-jährige Generation. In den meisten Regionen kommt die überwiegende Mehrheit der Todesfälle durch Korona aus Pflegeheimen und Altenheimen. Die Häuser sind zu den gefährlichsten Brennpunkten der Koronakrise geworden. Es ist Zeit für einen Vertrag der neuen Generation: Kinder und alte Menschen zuerst!
Die organisierte Verantwortungslosigkeit gegenüber den Jüngsten und Ältesten sagt viel über den sozialen Zustand einer hoch entwickelten Industrienation aus. Die Pandemie hat sich zu einer sozialen Katastrophe entwickelt. Deutschland hat es bisher versäumt, seine ältesten und jüngsten Bürger angemessen zu schützen. Deshalb zieht die Bundeswehr in die Häuser. Ein umfassendes Schutzkonzept für Pflegeheime und Altenheime besteht erst seit dem 13. Dezember, als die Bundesregierung beschloss, die Häuser zu Schnelltests zu verpflichten. Bis heute gibt es für Schulkinder kaum Konzepte, wie Unterricht in Zeiten einer Gesundheitskatastrophe möglich ist. Auch hier fehlen umfassende Schnelltests.
Eine zentrale Ursache für diese politische Nachlässigkeit ist das Bild von Jugendlichen und Alter. Kinder haben keine Lobby und das Bild des Alters ist negativ. Das Urteil des Bürgermeisters von Tübingen, Boris Palmer, von den Grünen, „Wir werden Menschen retten, die sowieso in sechs Monaten tot wären“, hatte keine politischen Konsequenzen für ihn, weil es anscheinend einen Nerv getroffen hat.
Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und Gründer des Instituts für Zukunftspolitik (www.zukunftspektiven.de). Sein neues Buch heißt „Future Intelligence. Der Koronaeffekt auf unser Leben “(Verlag Langen Müller). © Quelle: Neumann und Rodtmann
„Deutschland ist zu spät gesperrt worden“
Außerdem: Deutschland ist zu spät gesperrt und hat es im Sommer zu früh beendet. Das Sperrlicht im Herbst hatte fast keine Wirkung. Laut einer Google-Analyse der Bewegungsdaten waren die Büros im November und Dezember voller als bei der ersten Sperrung. Die Zahl der Infektionen wäre nicht einmal halb so hoch, wenn heute so viele Menschen von zu Hause aus arbeiten würden wie im Frühjahr.
Ein weiterer Grund, warum Asien im Kampf gegen das tödliche Virus erfolgreicher ist als der Westen, ist, dass ältere Menschen dort mehr geschätzt werden. Eingriffe in die Privatsphäre durch Apps und Handy-Tracking wurden daher in Ländern wie Taiwan und Südkorea akzeptiert. Im Gegensatz zu Schweden und Großbritannien hat kein asiatisches Land das Herdenimmunitätsmodell befolgt und weist daher hohe Fall- und Sterblichkeitsraten auf. Die öffentliche Gesundheit ist in Asien wichtiger als in Europa, die Impfbereitschaft, der Einsatz von Schnelltests und das Home Office sind dort daher höher als in den individualistischeren Ländern des Westens.
„Das Wohlergehen der Kinder und der Infektionsschutz müssen abgewogen werden“
Wer das Alter schätzt, schätzt das Leben auch als eigenständigen Wert – und nicht als Nutzenfaktor. Eine kind- und altersgerechte Gesellschaft ist ein Wert an sich und bestimmt den Wert einer Gesellschaft als Ganzes. Die Frage, wie wir die Jüngsten und Ältesten in unserer Gesellschaft besser schützen und sie am Leben teilnehmen lassen können, sollte im Mittelpunkt dieses neuen Jahres stehen, und es sollte ein Vertrag über eine neue Generation erstellt werden: Schützen Sie Kinder und ältere Menschen!
Schulen und Kindergärten und nicht Politiker sollten entscheiden, wer von zu Hause lernen kann oder wer Pflege und Unterstützung benötigt. Das Wohl des Kindes und der Schutz vor Infektionen müssen abgewogen werden und im Zweifelsfall für das Kind herausfallen. Das Infektions- und Übertragungsrisiko ist bei jüngeren Kindern geringer als bei Erwachsenen, wie eine Reihe internationaler Studien gezeigt hat. Für Deutschland bestätigen das Robert-Koch-Institut (RKI) und das Deutsche Jugendinstitut (DJI) diesen Befund in der „Corona-Kita-Studie“. Bisher waren Schulen selten Corona-Hotspots.
„Verletzung der Kinderrechte und der Menschenwürde älterer Menschen“
Für ältere Menschen allein zu Hause oder in Pflegeheimen muss gesagt werden, dass niemand allein gelassen werden sollte, geschweige denn einsam sterben sollte. Dies hat konkrete Konsequenzen: Allgemeine Schulschließungen und die Verbarrikadierung von Häusern verletzen die Rechte der Kinder und die Menschenwürde älterer Menschen.
Diejenigen, die sich dagegen stärker einschränken können und müssen, sind die mittlere Generation – alle diejenigen, die keine Kinder mehr und noch nicht alt sind. Die Mitarbeiter müssen verantwortungsbewusster werden: „Zu Hause bleiben“ bedeutet nicht, in den Urlaub oder ins Büro zu gehen, um dort Kollegen zu treffen und in der Kantine zu essen. Frankreich und Belgien mussten bereits im Oktober von zu Hause aus arbeiten. Die Schweiz hat es kürzlich eingeführt. Das Münchner Ifo-Institut schätzt, dass 56 Prozent der Beschäftigten in diesem Land von zu Hause aus arbeiten können. Deutschland muss diese Verpflichtung auch einführen, um ältere Menschen zu schützen und das Wirtschafts- und Arbeitsleben auf ein Minimum zu reduzieren.
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Die Schließung der Schule schadet Kindern aus finanziell schwachen Familien
Dresdner Wissenschaftler weisen darauf hin, dass Schulen offenbar keine Corona-Hotspots sind. © Reuters
Für die Jüngsten geht es jedoch nicht um den Schutz ihrer Gesundheit, sondern um ihre Zukunft. In der ersten Sperre wies der Präsident des Bundestages, Wolfgang Schäuble, darauf hin, dass der Hauptwert unserer Verfassung nicht der Gesundheitsschutz, sondern die Menschenwürde ist. Also: Büros schließen, Kindertagesstätten und Grundschulen eröffnen und ältere Menschen schützen! Leben, Gesundheit und Bildung sind vereinbar, wenn wir die Prioritäten der Pandemiepolitik richtig festlegen. Wenn Corona uns etwas lehrt, dann hat nur eine Gesellschaft, die das Leben aller schützt und fördert, eine Zukunft. Sozial und wirtschaftlich.