
Dresden. Thomas Jurk erinnert sich gut daran, wie schlecht es um die Chip-Industrie in Dresden stand. Im Jahr 2010 bangte die sächsische Landesregierung um ihr Vorzeigeprojekt, als eines der größten Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Selbst ein 150 Millionen Euro Kredit des Freistaats konnte damals nicht verhindern, dass Qimonda insolvent wurde. Der damalige Wirtschaftsminister Jurk konnte nichts tun, um dies zu verhindern. Die Landespolitiker waren unsicher, wie es mit der Mikroelektronik in der Region weitergehen würde.
Jurk verfolgte daher mit Freude die Nachrichten, die am Dienstag verbreitet wurden. Der taiwanesische Konzern TSMC plant den Bau einer neuen Fabrik in Dresden. Es ist sogar von einer „Megafabrik“ die Rede, in der 2000 Menschen arbeiten sollen. Zuvor hatten Bosch und Infineon bereits neue Produktionsstätten in der Landeshauptstadt gebaut oder waren dabei, diese zu errichten. Doch die allgemeine Freude wird von Skepsis getrübt, denn das taiwanesische Unternehmen lässt sich die Ansiedlung teuer bezahlen. Der deutsche Staat übernimmt die Hälfte der Investitionen von insgesamt 10 Milliarden Euro. TSMC erhält 5 Milliarden Euro an Subventionen. Für manche sind das jedoch zu hohe Kosten.
Der ehemalige Minister Jurk kann jedoch nichts Schlechtes daran finden. Er sagt, dass man klar sagen müsse: „Ohne diese Förderung hätten wir das Werk nicht nach Sachsen geholt.“ Er ist der Meinung, dass Subventionen notwendig sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben und dass andere Länder keine Probleme damit haben, Unternehmen mit solchen Summen anzulocken. Um in Europa und Deutschland mithalten zu können, müsse man sich darauf einlassen.
Nicht alle Wirtschaftswissenschaftler stimmen dieser Sichtweise zu. Einige sehen es kritisch, dass der deutsche Staat Industriepolitik mit so hohen Summen betreibt. Die Debatte ist nicht neu. Als der Chip-Gigant Intel im letzten Jahr den Bau eines neuen Werks in Magdeburg ankündigte, wurde schnell über die Milliarden an Fördermitteln diskutiert, mit denen der Bund das US-Unternehmen unterstützt. Ursprünglich war von Fördermitteln in Höhe von knapp sieben Milliarden Euro die Rede. Nun werden es fast zehn Milliarden Euro sein – bei einer Gesamtinvestition in Sachsen-Anhalt von etwa 30 Milliarden Euro.
Die Argumente, die in der Causa Intel und jetzt in der Causa TSMC ausgetauscht werden, ähneln sich. Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, ist der Meinung, dass die Subventionierung von Arbeitsplätzen in der aktuellen Arbeitsumgebung „eher kontraproduktiv“ ist. Er nennt den allgemeinen Arbeitskräftemangel und die alternde Bevölkerung in Deutschland als Hemmnisse. Er glaubt, dass Arbeitnehmer, die zukünftig bei TSMC arbeiten werden, möglicherweise an anderen Stellen fehlen und bei anderen High-Tech-Unternehmen und Start-ups benötigt werden. Dadurch könnten keine wirklich innovativen Unternehmen entstehen. Deutschland sollte sich lieber auf Forschung und Entwicklung konzentrieren, da seine Stärken nicht in der Massenproduktion von Chips und anderen Produkten liegen.
Die Politiker der Bundes- und Landesregierung sind anderer Ansicht. Sie preisen die Ankündigung von TSMC als entscheidenden Schritt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte, die Großinvestition sorge für „mehr europäische Souveränität und technologische Unabhängigkeit in einer Schlüsselbranche“.
Joachim Ragnitz, Vize-Chef des ifo-Instituts in Dresden, kann das Argument nachvollziehen, dass man die strategische Abhängigkeit von Lieferanten im Ausland minimieren möchte, beispielsweise im Hinblick auf China. Er bezweifelt jedoch, dass Korea oder die USA zu den riskanten Lieferländern gehören. Er ist der Meinung, dass es besser wäre, langfristig sichere Lieferverträge zu sichern, anstatt Subventionen zu zahlen. Die EU habe jedoch bereits im Vorfeld hohe Subventionen angekündigt und die Halbleiterunternehmen ermutigt, immer höhere Forderungen zu stellen.
Es wird interessant sein zu sehen, wie die regionale Wirtschaft auf die hohen Fördermittel reagieren wird. Der sächsische Arbeitgeber-Präsident Jörg Brückner zeigte sich zufrieden mit dem TSMC-Deal, betonte aber gleichzeitig, dass die Politik sich genauso stark für bessere Rahmenbedingungen für den Mittelstand einsetzen müsse. Der Mittelstand brauche akzeptable Bedingungen, um zu überleben und sich weiterzuentwickeln.
Um das Dilemma, sowohl den großen als auch den kleineren Unternehmen gerecht zu werden, als Regierungspolitiker zu lösen, weiß der ehemalige Minister Jurk Bescheid: „Natürlich kann ich jeden Mittelständler verstehen, der über solche Summen klagt und sich mehr öffentliche Förderung wünscht“, sagte er. „Der Mittelstand ist ein wichtiger Faktor unserer Wirtschaft. Die Wahrheit ist jedoch, dass auch der Mittelstand ohne Mikrochips nicht existieren kann. Die Förderung für TSMC ist daher auch eine Förderung für die Zukunft des Mittelstands.“
Auch die Landesregierung teilt diese Meinung. Die landeseigene Wirtschaftsförderung prognostiziert bereits einen starken Rückenwind durch die neue Großansiedlung. Dies werde der gesamten Branche zugutekommen und viele attraktive Arbeitsplätze schaffen.
Am Ende sollen TSMC und die Großfabrik – und damit auch die fünf Milliarden Euro vom Staat – allen zugutekommen.
LVZ