Julia Sachse aus Torgau: „Keinen Schlussstrich ziehen“
Am Donnerstagabend wurde in Torgau an die Schicksale jüdischer Mitbewohner während der Pogrome des Jahres 1938 erinnert. Weiße Rosen wurden niedergelegt und Kerzen entzündet. Etwa 20 Vertreter der Torgauer Zivilgesellschaft, darunter Oberbürgermeister Hendrik Simon (parteilos), suchten hierfür die an vier Stellen in der Innenstadt verlegten Stolpersteine auf, die mit reichlich Putzmittel zunächst von ihrer Patina befreit werden mussten.
Die Breiten Straße 4
Die meisten Stolpersteine, nämlich fünf, sind in der Breiten Straße 4 zu finden, wo einst die Familie Kukurutz beheimatet gewesen war. In deren Erinnerung gilt die Pogromnacht in Torgau als „Nacht der zerborstenen Träume“. Am 9. November sei unter Anleitung eines älteren Nationalsozialisten das Haus gestürmt worden.
Weiterer Spaziergang zur August-Bebel-Straße
Von der Breiten Straße aus führte der einstündige Spaziergang über den Karl-Marx-Platz bis in die August-Bebel-Straße. „Für mich ist diese Art von Erinnerung ein Akt von Zivilcourage und Anteilnahme“, betonte Pfarrerin Ann-Sophie Wetzer. Zumal in diesem Jahr auch der vielen Opfer des Hamas-Überfalls auf Israel am 7. Oktober gedacht werde. „Auch vor diesem Hintergrund ist es wichtig, keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen“, betonte Julia Sachse. Sie wünscht sich, dass das Interesse am Putzen der Stolpersteine im kommenden Jahr noch einmal gesteigert werden könne.
Informationen für weitere Stolpersteine
Die elf Torgauer Stolpersteine waren Anfang 2020 verlegt worden. Schon damals war angeregt worden, mit zusätzlichen Steinen an weitere Opfer der nationalsozialistischen Diktatur zu erinnern. Nach Angabe von Elisabeth Kohlhaas vom „Erinnerungsort Torgau Justizunrecht-Diktatur-Widerstand“ seien allein fünf Schicksale im Zuge der Euthanasie bekannt. Weiterhin gebe es zu mindestens zwei Personen Informationen, die von den Nazis als politische Gegner verfolgt worden waren.
Ein akt von Zivilcourage und Anteilnahme
Für Irina Pipo war es eine Selbstverständlichkeit, dem Aufruf eines Netzwerks in den Abendstunden zu folgen. Die gebürtige Kasachin lebt seit vielen Jahren in Deutschland und gibt Menschen mit Migrationshintergrund an der Volkshochschule Sprachkurse. Sie war am Ende des Spaziergangs sehr ergriffen, zumal sich ihr, als sie in Chemnitz gelebt hatte, der Überfall auf das dortige jüdische Restaurant „Schalom“ von 2018 ins Gedächtnis gebrannt habe.
Lange sind die weißen Rosen jetzt zumindest in der Breiten Straße nicht liegen geblieben. Schon am nächsten Tag haben nur noch einzeln verstreute Blütenblätter an die Anteilnahme nur wenige Stunden zuvor erinnert. Von den fünf Kerzen war nichts mehr zu sehen. Wer dafür verantwortlich zeichnet, ist nicht bekannt.