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Regisseur warnt am Schauspiel Leipzig mit Brecht vor falschen Propheten

Dem Regisseur interessieren gesellschaftliche Konflikte. Mit Brecht warnt er nun am Schauspiel Leipzig vor falschen Propheten.

„In der Öffentlichkeit, nicht für die Öffentlichkeit sind Prozesse zu führen“, erklärt der vorsitzende Richter zu Beginn des Bühnengerichts. Nuran David Calis wollte das ändern und brachte mit „438 Tage NSU-Prozess“ die Gerichtsverhandlung gegen die Neonazi-Terrorristen und ihr Unterstützer-Umfeld in die Öffentlichkeit. Wenn schon nicht in die breite, dann doch wenigstens ins Theater. Sein Abend eröffnete als zweite Produktion 2021 das Kunstfest Weimar. Erst kurz zuvor hatte Calis in Frankfurt am Main pandemiebedingt eine Stückentwicklung zu „NSU 2.0: der Film“ verwandelt. Auch darin drängt der Regisseur aufs Hin- statt Wegschauen auf Strukturen, Akteure und ein Klima, das rechten Terror befördert. Es ist eine Anklage gegen alle Verharmloser und Abwiegler. Das ist ebenfalls die Intention, mit der Calis nun „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ am Schauspiel Leipzig inszeniert.

Ob Prostitution oder Gewalt

„Entweder macht man Theater, das politisch wird, oder man macht politisches Theater. Bei mir wechselt sich das ab“, sagt Calis, der das fünfte Mal in Leipzig inszeniert, der „Freien Presse“. Calis interessieren gesellschaftliche Konflikte: ob es nun Prostitution und Gewalt sind, die er in Leipzig mit „Lulu“ (2013) thematisierte, Rassismus und der voyeuristische Zuschauerblick der Mehrheitsgesellschaft in „Angst essen Seele auf“ (2018). Nun also Brechts Warnung vor den falschen Propheten. „Die Satire auf die Nazis trifft den Nagel ja gut auf den Kopf, schaut man, in welchem Gefüge wir uns befinden“, erklärt Calis. „Mich wundert, dass man sie nicht rauf- und runterspielt in den Theatern momentan.“

Von Heiner Müller beeindruckt

Er habe sich immer als politischen Menschen verstanden, sagt Calis, schon im Teenageralter. Die erste Demonstration, an welcher der 1976 Geborene teilnahm, war eine Trauer- und Solidaritätskundgebung in Solingen nach dem Brandanschlag 1993. „Da begann ich als politischer Mensch zu denken und zu sehen, wo die Gefahr für die Gesellschaft sitzt. Und das hab ich in meine künstlerischen Arbeiten hineingezogen“. Situationen, in denen Menschen andere ausgrenzen, die Demokratie aushöhlen, Macht missbrauchen, interessieren ihn: „Mithilfe der Kunst arbeite ich in meiner Produktion wie mit einem MRT und lege das frei“. Den „Arturo Ui“-Stoff habe dem Regisseur das Schauspiel Leipzig angeboten, dieser habe gleich zugesagt. Als Heiner Müller seine legendäre Inszenierung damals für das Berliner Brecht-Ensemble schuf, wo sie bis heute gespielt wird, lagen die Ereignisse von Rostock, Solingen & Co noch nicht lang zurück. „Er hat damals die bundesrepublikanische Folie über das Stück gelegt. Wir weiten den Blick auf Phänomene weltweit, zeigen, wie global das ist.“ Daher hat Calis auch keine Sorge, im Schatten Müllers zu stehen. Auch wenn ihn dessen Inszenierung beeindruckte.

„Wir spielen gnaden- und schamlos“

Brechts Stück aus dem Jahr 1941 transferiert die Machtübernahme der Nazis in die damalige aufstrebende US-Gangsterwelt. Arturo Ui will hier Boss werden – mit allen Mitteln, worunter vor allem Dreistigkeit zählt. Brecht wählt die Jamben-Sprache klassischer Dramen, wodurch er seine Charaktere doppelt lächerlich macht. „Es ist eine bitterböse Farce auf die Populisten“, schätzt Calis. „Und da bietet es sich an, sich mit Bertolt Brecht zu verbinden und dort hinzugehen, wo es auch ästhetisch sehr wehtun kann.“ Wenn Brecht den Aufstieg nachzeichnet, „beschreibt er präzise jede Facette von Uis Erfolg“, so Calis. „Und da sitzt man in der Probe und sieht Parallelen zu Putin, Bolsonaro oder Trump. Wir spielen gnaden- und schamlos, wie bei Brecht.“

Den häufig gehörten Vorwurf, politisches Theater spiele sich nur an Orten ab, wo die Menschen sowieso schon überzeugt, aufgeklärt und im Zweifel links sind, weist Calis zurück. „Ich bin da nicht so romantisch. Ich will nicht Heitmeyers ‚Durchrohung der Bürgerlichkeit‘ zitieren. Aber ich traue dem Zuschauer gar nicht. Ich glaube eher, dass derzeit die konservativen Ströme das Theater kapern. Und da gilt es dagegenzuhalten.“

So wie mit dem inszenierten Gerichtsprozess auf dem Weimarer Kunstfest 2021. Das Reenactment vergegenwärtigte diesen tatsächlich. Nuran David Calis wies hier mit seinen Mitteln darauf hin, wie notwendig permanentes Versichern des Nie-Wieder und des Nichtsvergessens der Taten und der Opfer sind. Und dass man sich zugleich die Gefahr vergegenwärtigen muss: Es kann wieder passieren. Und das ist auch Brechts Botschaft, dessen Text über den unheilvollen Aufstieg eines falschen Propheten mit den berühmten Zeilen endet: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Premiere von Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui ist am Freitag um 19.30 Uhr im Schauspiel Leipzig.