Leipzig. Gut ausgebildete, junge Leute gehen seltener in die Leipziger Innenstadt. Seit 2019 sank die Zahl der „gut verdienenden Großstadt-Singles“, welche die Gegend rings um die Petersstraße aufsuchen, um 11 Prozentpunkte. In der Umgebung der Grimmaischen Straße wurde für diesen Personenkreis seither sogar ein Minus von 13 Prozentpunkten registriert.
Vor allem durch die Corona-Pandemie und die seinerzeitigen Handelsbeschränkungen hat sich die Besucherstruktur in der Leipziger City deutlich verändert. Das besagt eine Studie der privaten EBS Universität für Wirtschaft und Recht aus Wiesbaden, die der LVZ exklusiv vorliegt. Laut Studienleiter Nikolas Müller wurden für die jeweils wichtigsten Einkaufsstraßen der neun größten Metropolen in Deutschland die Aufenthaltsdauer, örtliche Herkunft und Finanzkraft von Passanten analysiert. Dies geschah „weltweit bisher einmalig auch mithilfe von GPS-Mobilfunkdaten“, erläutert er.
Bewegungsprofile und Wohnortdaten
Durch die Nutzung von Smartphones würden die meisten Menschen Daten abgeben, wie oft und wie lange sie sich an bestimmten Orten aufhalten. Mehr als 100 000 Handy-Apps sorgten für eine hohe Standortgenauigkeit. Für die Studie wurden nun Bewegungsprofile mit anderen Quellen zu Alter, Heimatadresse und sozialem Hintergrund kombiniert. Trotz Anonymität und Einhaltung der Datenschutzvorschriften lasse sich in etwa zuordnen, in welcher Art von Wohngebiet eine Person lebt. Das ermögliche Rückschlüsse auf die Kaufkraft.
Einzigartige Entwicklung in Grimmaischer Straße
„In Leipzig setzte die Untersuchung den Fokus auf die Lagen um die Grimmaische Straße und die Petersstraße.“ Laut Müller hat die hiesige City im Vergleich zu den anderen Großstädten insgesamt am besten abgeschnitten, weil sie beim Einzelhandel und anderen Offerten schon gut durchmischt sei. „Die Passantenfrequenzen waren in Leipzig 2022/23 deutlich höher als im Lockdown, aber noch nicht wieder auf dem Niveau von 2019.“
Vor allem abends und an Sonntagen sei weniger auf den Straßen los als noch vor Corona. Gegenüber 2019 ging die Besucherzahl in der Leipziger City an Sonntagen um etwa drei Prozentpunkte zurück. Sonntags besuchen die City jetzt nur noch sechs Prozent aller Passanten einer ganzen Woche. An den Freitagen und Samstagen stieg die Zahl der Besucher hingegen in etwa gleicher Höhe. Damit kommen inzwischen 38 Prozent aller Gäste am Freitag oder Sonnabend in die Leipziger Innenstadt. In anderen Metropolen sei die Frequenz noch stärker verzerrt, liege der Ansturm am Freitag und Samstag oft bei über 45 Prozent des Wochenaufkommens, berichtet der Wissenschaftler. An den Sonntagen wurden in Hamburg (Spitalerstraße) nur noch drei Prozent aller Besucher gezählt, in Köln (Schildergasse) vier Prozent.
Ebenfalls noch am besten entwickelte sich in Leipzig die Kaufkraft der Passanten. Hier gab es nur geringe Einbußen. Hingegen sorgten veränderte Sozialstrukturen bei den Besuchern in anderen Metropolen für deutliche Kaufkraft-Rückgänge. Allein von 2019 bis 2022 büßte der stationäre Einzelhandel bei Textilien und Schuhen bundesweit fast 14 Prozent vom Umsatz ein, während der Internethandel im selben Segment um 20 Prozent zulegte, berichtet Müller. Das spiegele sich auch in den City-Läden.
Umbau bei Peek&Cloppenburg geplant
Auch die Einzugsgebiete und damit die Besucherstruktur in den Läden und Kaufhäusern hätten sich während der Pandemie neu strukturiert. Einerseits würden „finanzstärkere junge Menschen die Innenstadt deutlich weniger“ aufsuchen – vor allem, weil sie Einkäufe öfter online tätigen oder Freizeit am Wohnort bevorzugen. Indes sei auf der Petersstraße zeitgleich der Anteil der Besucher mit geringerem Einkommen um über sechs Prozentpunkte gestiegen, wohingegen er im gleichen Zeitraum auf der Grimmaischen Straße um 22 Prozentpunkte zurückgegangen ist. Müller: „Letzteres ist einzigartig unter den betrachteten Städten und weist auf eine größere Attraktivität der Grimmaischen Straße für kaufkräftige Besucher hin.“
Entsprechend habe sich ebenfalls die örtliche Herkunft der (gut betuchten) Flaneure aus der Grimmaischen Straße deutlich verändert. Hier wurde ein sehr großes Einzugsgebiet über Sachsen hinaus registriert. Die Besucher der Petersstraße kamen ganz überwiegend weiterhin aus dem Leipziger Stadtgebiet. Jedoch sei die Verweildauer an vielen Orten erheblich gestiegen – vor allem in den Gastronomiebetrieben und Parkanlagen. „Unter den betrachteten Städten stellt Leipzig in Bezug auf die Verweildauer in der Innenstadt eine positive Ausnahme dar. Standorte, die schon heute eine Mischung verschiedener Nutzungsformen und Angebote aufweisen, werden von Besuchern als attraktiv wahrgenommen“, sagt Kevin Meyer von der James Cloppenburg Real Estate Holding KG, welche die Studie finanzierte.
Das zeige sich anhand der Daten. Einseitig genutzte Adressen wie das Sparkassengebäude an der Schillerstraße, die Universität oder das Hotel Radisson Blu am Augustusplatz erzeugten geringere Passantenfrequenzen. Hingegen wirke der vielfältig genutzte Petersbogen samt Kino, Hörsälen und Geschäften als Besuchermagnet. Dieses Wissen müssten die Eigentümer der City-Häuser, Stadtplaner und Gewerbetreibende für neue Angebote und „ein Kuratieren der Nutzungen“ anwenden.
Andernfalls drohten Teilbereiche der Herzkammern der Städte zu veröden, warnt die Studie. In ihrem Leipziger Kaufhaus an der Petersstraße wolle die Immobilienfirma James Cloppenburg bald Konsequenzen ziehen, kündigt Meyer an. Mehrere Etagen in den Obergeschossen, die der Textilhändler Peek&Cloppenburg bisher nicht als Verkaufsfläche, sondern zum Beispiel als Lager verwendete, würden ab 2024 umgebaut und bekämen neue Nutzungen. Unter anderem seien moderne Büros vorgesehen.
LVZ