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Giftige Flüssigkeit auf Baustelle in Leipzig: Altlast seit Jahrzehnten bekannt, doch nur minimale Maßnahmen ergriffen

Auf einer Baustelle in Leipzig: Giftige Flüssigkeit sorgt für Besorgnis

von Arnd Groß und Edgar Lopez, MDR Recherche

Stand: 06. September 2023, 21:20 Uhr

Eine Baustelle für neue Wohnhäuser mitten in Leipzig sorgt für Aufsehen, da giftige Flüssigkeit aus einer Altlast in die neu ausgehobene Grube sickert. Dieses Problem ist seit Jahrzehnten bekannt, jedoch wurden bisher nur minimale Maßnahmen ergriffen.

Im März dieses Jahres entdeckten die Arbeiter auf der Baustelle in der Shakespearestraße das Eindringen von gelber Flüssigkeit in die Grube. Die Baustelle gehört der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB), die daraufhin die Landesdirektion Sachsen informierte. Um die Sicherheit der Arbeiter zu gewährleisten, wurde die Flüssigkeit chemisch untersucht. Das Ergebnis, welches dem MDR und dem Leipziger Stadtmagazin Ahoi vorliegt, zeigt, dass die gelbe Brühe hohe Mengen an Chrom VI enthält, einem äußerst giftigen Stoff.

Chrom VI ist krebserregend und es gibt keinen tolerierbaren Grenzwert für diesen Stoff, da selbst in geringen Mengen eine Gefahr besteht. Professor Holger Weiß vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig erklärt, dass Chrom VI sehr gut löslich ist. Dadurch kann das kontaminierte Wasser in das Grundwasser oder in stauende Bodenschichten gelangen. Solche Altlasten finden sich in ganz Deutschland unter alten Gerbereien, Galvanik- oder Holzimprägnierungsbetrieben.

Galvanischer Betrieb als Ursache für die Altlast

Der Ursprung des Giftes ist auf der Nordseite der Baugrube in der Shakespearestraße schnell ausfindig gemacht. Dort befand sich bis 1999 ein Metallveredelungsbetrieb in der Paul-Gruner-Straße, wo seit 1943 Metalle bearbeitet wurden. Bereits 1999 wurde in einem Gutachten im Auftrag der Stadt Leipzig bewiesen, dass der Boden unterhalb der Metallwerkstatt stark mit Chrom VI belastet ist. Besonders betroffen ist der Boden unterhalb und neben einem Galvanikraum, welcher sich genau an der Grundstücksgrenze befindet.

Die Gutachter beschreiben das hohe Risiko für Mensch und Umwelt, das von dieser Anlage ausgeht. Dennoch empfehlen sie der Stadt Leipzig vorerst keine Maßnahmen zu ergreifen und setzen den Status der Altlast als „belassen“ in das Altlastenkataster ein. Erst wenn mit dem Bau begonnen wird, muss gehandelt werden und regelmäßige Nachprüfungen sind ratsam.

Folienabdeckung und Pumpen gegen das giftige Wasser

Auf der Baustelle in der Shakespearestraße wird nun gehandelt. Die Landesdirektion Sachsen ordnet an, dass das giftige Sickerwasser aufgefangen, abgepumpt und ordnungsgemäß entsorgt wird. Zudem wird die angrenzende Fläche zum ehemaligen Galvanikbetrieb vorerst mit einer Folie abgedeckt, um eine Verbreitung des giftigen Chrom VI in der Luft zu verhindern. Im August 2023 soll dann die Wand abgedichtet werden.

Die Bodenproben aus dem restlichen Bereich der Baustelle sind unauffällig. Auch die Stadt Leipzig ergreift Maßnahmen und untersucht die Auswirkungen auf das Grundwasser. In einem 60 Meter entfernten Garten wird das Grundwasser aus einem Brunnen untersucht, ohne dabei eine Kontamination festzustellen. Doch bleibt das Grundstück mit der Metallverarbeitung weiterhin eine potenzielle Gefahr, da es sich um ein Privatgrundstück handelt.

Anwohner sind unzureichend informiert

Die Anwohner haben seit Monaten freien Blick in die Grube und sind überrascht, dass sie nicht über die giftige Flüssigkeit informiert wurden. Sie berichten, dass sie beobachtet haben, wie dort Messungen durchgeführt wurden, wissen aber nicht, welche Ergebnisse dabei erzielt wurden. Ein Anwohner äußert seinen Unmut darüber, dass direkt neben der Grube weitergebaut wird und fragt sich, wie jemand in das neu errichtete Haus ziehen kann, wenn dort eine Grube mit giftiger Flüssigkeit vorhanden ist.

Tausende Altlasten in den Ländern

Die Bundesländer sind sich über den größten Teil ihrer kontaminierten Liegenschaften, Gewässer und Flächen bewusst, einschließlich ehemals militärisch genutzter Gebiete. Eine Statistik des Umweltbundesamtes zeigt, dass die ostdeutschen Bundesländer immer noch eine große Anzahl von potenziell belasteten Flächen haben, während in Thüringen etwa 10.000 und in Sachsen gut 18.000 solcher Flächen registriert sind. Hessen und Niedersachsen haben im Vergleich dazu deutlich mehr Verdachtsflächen, die einer Altlastenbelastung ausgesetzt sein könnten.

Zuständigkeiten auf verschiedenen Ebenen

In der Leipziger Innenstadt besteht ein Dilemma, da der Galvanikbetrieb aus den 1940er Jahren ein Privatgrundstück ist und nicht direkt nebenan gebaut wird. Daher ist nicht die Stadt Leipzig und ihr Umweltamt für das Baugrundstück zuständig, sondern die übergeordnete Landesdirektion.

Im Mai 2023 äußerte die Stadt Leipzig bezüglich der Gefahr durch die Giftstoffe rund um den Galvanikbetrieb, dass derzeit keine Gefährdung von Menschen außerhalb des Gebäudes zu erwarten sei und eine Verschiebung der Schadstoffe ins Grundwasser ausgeschlossen sei.

Am 6. September 2023 teilte die Stadt auf Anfrage des MDR mit, dass der Eigentümer des Grundstücks Paul-Gruner-Straße das Dach der Metallveredelungswerkstatt fachgerecht instand setzen und die Werkstatt einzäunen muss. Dadurch wird verhindert, dass sich die Schadstoffe langfristig ausbreiten, ohne sie zu entfernen. Das Gutachten der Stadt Leipzig aus dem Jahr 1999 weist jedoch darauf hin, dass der Boden außerhalb der Werkstatt ebenfalls kontaminiert ist.

Dieses Thema wird behandelt in:
– MDR FERNSEHEN
– MDR AKTUELL am 06. September 2023 um 21:45 Uhr

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